Ich wünschte, ihr hättet mir gesagt...
in dieser Blogserie überlasse ich euch, meinen Lesern, das Wort rund um kritische, diskussionswürdige Tabuthemen rund um Schwangerschaft und Muttersein. Es gibt so viele Themen, die tot geschwiegen werden, die man sich nur anonym anzusprechen traut, die aber so viele von uns tagtäglich bewegen. Zeit also, eine Plattform zu schaffen, um sich anonym auszutauschen, Erfahrungn zu teilen, Mut zu machen, zu stärken und als Community zu wachsen. In jedem dieser Beiträge sammle ich mir zugesendete Statements echter Frauen, die mutig genug sind, ihre Geschichte hier zu teilen. Falls euch auch ein Thema auf dem Herz liegt, ihr Teil des Ganzen werden wollt oder einfach nur das Bedürfnis habt, auch eure Geschichte zu teilen, macht das gerne in den Kommentaren - ich würde mich riesig darüber freuen!
Eine Übersicht der bisherigen Themen:
#1 Frühgeburten
#4 Babyblues
Beispiel 1: Ich wünschte, ihr hättet mir gesagt, dass es okay ist auch unkonventionelle Familienmodelle zu wählen
Beispiel 2: Ich wünschte, ihr hättet mir gesagt...
Mit unserem Entschluss ein gemeinsames Kind zu bekommen, waren wir überglücklich. Wie Teenager im siebenten Himmel lebten wir die Tage. Jede Minute, die wir zu zweit verbringen konnten, nutzten wir intensiv. Wir lagen nächtelang wach, führten tiefsinnige Gespräche, schmiedeten große Pläne und genossen die Zweisamkeit.
Meine Schwangerschaft durfte ich genießen und mein Liebster trug mich auf Händen. Er nahm mir alles ab, ließ mich schlafen, wann immer ich wollte, brachte in der Zeit meinem Großen das Radfahren bei, kümmerte sich darum, dass wir immer frisches Obst zu Hause hatten. Wir arbeiteten gemeinsam mein Trauma der ersten Geburt auf und konnten uns dadurch voll und ganz auf unser gemeinsames Abendteuer einlassen.
Als wir unsere Kleine im heimischen Wohnzimmer in die Arme schlossen, war unser Glück perfekt. Die erste Zeit im Wochenbett verlief so euphorisch. Tiefer denn je fühlten wir uns miteinander verbunden und wir strahlten, trotz enormen Schlafmangels, rund um die Uhr. Wir waren so stolz auf uns, auf das einmalige und wunderschöne Erlebnis der Hausgeburt, auf unsere wunderwunderschöne Tochter und unsere Familie, die sich nun komplett anfühlte.
Ich wünschte, ihr hättet mir gesagt, dass Freude und Traurigkeit so nah beieinander liegen können...
Doch schon nach ein paar Wochen mischte sich bei mir Traurigkeit unter diese Freude. Und Sehnsucht. Ich wollte nicht mehr nach draußen in das tobende Leben der Hauptstadt. Mir war alles zu laut, zu schnell und zu dreckig. Der Weg zum Park zu weit. Der Park zu begrenzt. Ich war überfordert mit den Erwartungen der anderen, wollte allein mit meinem Kind sein. Oder aber mit meinem Liebsten Hand in Hand, der Kleinen in der Trage und meinem Großen vorneweg. Am liebsten stundenlang durch grüne Wiesen und Wälder spazieren. Die Realität sah anders aus.
Ich sprach mit meinem Liebsten über meinen Wunsch nach Entschleunigung und schlug vor wegzuziehen. Durch den Schlafmangel waren wir gereizt, von Kleinigkeiten gestresst und unheimlich angespannt. Mein Bedürfnis in eine Gegend mit mehr Ruhe und Natur zu ziehen, löste zusätzlichen Stress aus.
Ich wünschte, ihr hättet mir gesagt, welche innere Zerrissenheit entstehen kann...
Unsere Kleine forderte meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Stillen, Tragen, Kuscheln, Beruhigen, Bespaßen und das ohne Unterbrechung. Meine Hormone ließen kaum Unterstützung von außen zu. Obwohl ich nach wenigen Wochen, ohne erholsamen Nachtschlaf, durchaus welche hätte gebrauchen können. Ich empfand jede Trennung zwischen mir und meiner Tochter als Folter. Mein Liebster konnte sie zwar nehmen, aber sobald nur der leiseste Anschein von Unzufriedenheit aufkam, war ich zur Stelle. Mein Körper war in erster Linie für ihre Bedürfnisse da. Durch meine daraus entstandene körperliche Erschöpfung hatte ich schon sehr bald keine Energie mehr für intensive körperliche Nähe zwischen meinem Liebsten und mir. Meine Euphorie darüber war bei mir auf ein Minimum gesunken, sodass wir auf dieser Ebene kaum zueinander fanden.
Ich wünschte, ihr hättet mir gesagt, dass 24 Stunden pro Tag nicht genügen...
Mein Liebster und ich sind uns in den grundlegenden Sachen einig und es gab keine großen oder schwerwiegenden Themen, die Streitigkeiten auslösten. Dennoch ist es so schwer geworden, den Dingen die volle Aufmerksamkeit zu geben. Alles schien nebenher zu laufen. Ich hatte rund um die Uhr damit zu tun, die Bedürfnisse der Kinder zu erfüllen und mein Liebster war größtenteils mit dem Schreiben seiner Masterarbeit beschäftigt. Außerdem nahm er mir nach wie vor unheimlich viele Alltagsaufgaben ab. Unsere tiefsinnigen Gespräche von damals sind organisatorischen Absprachen gewichen. Wollen wir wissen wie es dem anderen wirklich geht, müssen wir Glück haben, dass die Kinder zeitig einschlafen und alles erledigt ist, was zuvor nicht geschafft wurde. In der Zeit vor der Geburt unserer Tochter war es normal, dass wir die Abende entspannt gemeinsam ausklingen ließen. Heute fallen wir erschöpft ins Bett.
Ich wünschte, ihr hättet mir gesagt wie viel Kraft es kostet, sich als Paar nicht zu verlieren...
Mir fehlt die Zeit zu zweit. Die Zeit in der wir uns voll und ganz auf den anderen konzentrieren können. Mir fehlt das bewusste Wahrnehmen, was der andere gerade alles leistet. Stattdessen sind wir dünnhäutig, leicht reizbar und schneller verletzt. Uns fehlt ausreichende Zeit, um eigenen Bedürfnissen nachgehen zu können. Dadurch fehlen die Momente, in denen wir frisch gestärkt aufeinander zugehen. Wir sind täglich platt und mit den Gedanken woanders. Sprechen wir miteinander, sprechen wir häufig aneinander vorbei.
Lass’ mich dir sagen:
Sei offen und unvoreingenommen. Sprich mit deinem Liebsten. Dein Leben wird sich verändern. Es wird dir vermutlich auf den ersten Blick schwer erscheinen, aber wenn du deinen Blickwinkel veränderst, wirst du das größte Glück erkennen.
Zeit wird ein kostbares Gut werden. Mach’ dir keine Gedanken. Früher oder später wirst du lernen die richtigen Prioritäten zu setzen.
Es ist in Ordnung, die rosarote Brille im Blick auf das gemeinsame Kind zu tragen. Es ist in Ordnung, dass sich deine Prioritäten verschieben. Und es ist in Ordnung, dass man sich als Paar neu erfinden darf nach einer Schwangerschaft und dem Wunder einer Geburt.
Schaut euch in die Augen und sagt: ja, es ist schwer, es ist anders als wir es kennen, aber wir schaffen das und kreieren uns eine neue Zeit. Eine Zeit, in der wir als Paar gestärkt durch eine so intensive Erfahrung, tief verbunden unsere Familie voller Liebe genießen können.
In zwei Wochen feiern wir den ersten Geburtstag unserer Kleinen. In zwei Monaten ziehen wir in die Berge. Wir blicken gemeinsam in die gleiche Richtung und gehen Hand in Hand in eine aufregende Zukunft.
Beispiel 3: Ich wünschte, ihr hättet mir gesagt, wie sehr ein Baby einfach alles verändert, besonders das Verhältnis zwischen den beiden frisch gebackenen Elternteilen.
Eigentlich hatte ich erwartet, dass wir nach der Entlassung aus dem Krankenhaus nach Hause kommen und ich endlich das Gefühl habe, im Leben angekommen zu sein. Wir haben nun ein Baby und sind endlich eine richtige Familie.
Doch ich merkte eigentlich direkt von Beginn an, dass es alles anders war als erhofft. Unser Baby nahm sehr viel Aufmerksamkeit und Nähe in Anspruch, was natürlich normal für ein Baby und eine unsichere Erstgebärende ist. Wir mussten uns erst einmal zruechtfinden mit dem Stillen und allem, was dazu gehört.
Mein Partner fühlte sich plötzlich zurückgesetzt. Ihm fehlte es an Aufmerksamkeit und Zuwendung meinerseits, was ich ihm die ersten Wochen auch einfach nicht bieten konnte, zu sehr war ich mit dem Neugeborenen und mir selbst im Wochenbett beschäftigt. Um sich abzulenken, ging er viel weg, was zuvor in diesem Ausmaß nie vorkam. Und so begann es schleichend, dass unsere Beziehung auf die Probe gestellt wurde.
Natürlich wurde die Stimmung Zuhause mit wenig Schlaf und Überforderung mit der neuen Rolle als Eltern nicht besser. Es blieb keine Zeit mehr für den gegenseitigen Austausch, der sonst üblich abends stattfand, denn da brachte ich das Baby ins Bett und schlief vor Erschöpfung direkt mit ein.
Zur angespannten Situation kam dann noch ein chaotisches Zuhause, kaum Zärtlichkeitenaustausch und unterschiedliche Erziehungsansichten, von denen ich vorher dachte, einer Ansicht zu sein.
Aber auch diese haben sich verändert durch die neue Situation. Mir war es wichtig, auf die Bedürfnisse meines Babys einzugehen, mein Partner hingegen wollte konsequenter durchgreifen. Das bricht mir das Herz und wenn ich etwas dagegen sage, bin ich die Helikoptermutter. Schon bald ist mein Baby ein Jahr und nach wie vor streiten wir viel. Zu viel...und leider bekommt unser Kind das auch mit. Das ist alles andere als das, was ich immer wollte.
Deswegen kann ich jeder Frau nur raten, erst dann einen Babywunsch umzusetzen, wenn beide Partner wirklich bereit dafür sind und beiden bewusst ist, wie viel man in der ersten Zeit wirklich zurückstecken muss, besonders im Hinblick auf die Partnerschaft.